WG-Psychologe im Interview: "Manchmal sitzt der Hass tief"
Ludger Büter arbeitet als Psychologe beim Kölner Studentenwerk und hilft bei Konflikten in Wohngemeinschaften.
Ludger Büter Psychologe
Herr Büter, wie steht es um Ihre eigene WG-Erfahrung?
Ich war früher viel in Wohngemeinschaften unterwegs. Allerdings habe ich selbst nur ein dreiviertel Jahr in einer WG gewohnt.
Warum denn nur so kurz? Gab es Stress?
Kann man so sagen. Auf einer WG-Party haben mein Mitbewohner und ich uns in dieselbe Frau verliebt. Leider hat sie ihn gewählt. Das wollte ich mir aus nächster Nähe dann doch nicht antun. Für den Fall kann ich auch heute nur den Tipp geben: Ein Auszug ist die beste Lösung.
Sind Liebesprobleme auch für Ihre heutige Arbeit als WG-Mediator typisch?
Nicht unbedingt. Es geht eher um elementare Dinge wie Lärm durch Partys, nächtliche Besuche oder laute Handytelefonate auf dem Balkon. Oft spielt auch der Ekel vor dem Zustand der Dusche, Toilette oder Küche eine Rolle. Ab und an geht es aber auch um zu lauten Sex des Mitbewohners.
Was war denn der sonderlichste Fall, der Ihnen untergekommen ist?
Da wollte eine Frau ihren Mitbewohner überführen. Sie war überzeugt, dass er ihr das warme Wasser in der Küche abzapfte, während Sie unter der Dusche stand.
Was passiert in einem solchen Fall?
Als Psychologe muss man manchmal einfach erkennen: Der Hass sitzt so tief, dass nur noch ein Ausweg bleibt. Man muss die Mitbewohner trennen.
Das ist aber hoffentlich die Ultima Ratio, oder?
Sicher! In vier Jahren gab es im Schnitt etwas über 60 Schlichtungen, und das bei 4.800 Mietern. Unsere WGs sind entweder sehr friedlich oder die Studenten können ihre Streitigkeiten ganz gut selbst regeln.
Und wenn nicht, holen Sie die WG an den Küchentisch und es wird diskutiert?
Wir veranstalten keine Selbsterfahrungs-Workshops. Streitigkeiten zwischen Mietern kosten Zeit und Geld, gerade wenn sie in Mahnungen oder anderen administrativen Maßnahmen münden. Deshalb versuche ich als Mediator, solche Situationen zu entschärfen. Aber wir sind keine Therapiegruppe für Wohngemeinschaften, das sage ich ganz klar.
Gibt es eigentlich ein Muster bei Ihren Patienten?
Mir ist bislang keines deutlich geworden. Frauen melden sich nicht häufiger als Männer, Juristen nicht öfter als Ingenieure und auch die Herkunft spielt keine Rolle. Frauen streiten allerdings nach meiner Beobachtung nachhaltiger. Männer vertragen sich häufiger wieder.
Gestritten wird in allen WGs also ähnlich. Sind denn heutige Studenten empfindlicher?
Sie sind auf jeden Fall anspruchsvoller als früher. Zu meiner WG-Zeit gab es Gemeinschaftsräume mit dem einzigen Fernseher im Haus. Heute gibt es viele Einzelkinder, für die solche Verhältnisse nur schwer vorstellbar wären.
Würden Sie Ihren Kindern empfehlen, in eine WG zu ziehen?
Meine Tochter wird das bald machen und ich sagte ihr schon, ich möchte keine Klagen hören, aber im Ernst: Wohngemeinschaften bieten die Chance, sich persönlich weiterzuentwickeln und den eigenen Sozialcharakter fortzubilden. Soziale Intelligenz hilft später auch im Job, in der Familie oder in der Ehe. Eine WG kann Schule sein für das spätere Leben.
Markus Gerharz, Redaktion