Mut zur Auszeit: Warum sich ein Gap Year lohnt
Schuften auf der australischen Ranch, soziales Engagement im indischen Dorf, Praktikum in einem amerikanischen Top-Unternehmen: Wenn es um die Wahl der persönlichen Auszeit geht, sind die Möglichkeiten vielfältig. Zeitlich bieten sich die Phasen nach dem Abi, dem Bachelor oder auch dem Master an – denn wenn der Jobstress erst einmal begonnen hat, wird’s schwer mit dem Jahr in der Ferne.
Avocados pflücken in Australien
„Ich dachte mir: So eine Chance bekommst du vielleicht nie wieder“, sagt Leonie Wittkamp, die nach dem Abi mehrere Monate „Work & Travel“ in Australien eingelegt hat. Sie baute Regale zusammen, jobbte als Kellnerin, pflückte Avocados: Völlig anderer Alltag als Schule oder Studium. „Die Zeit hat mich viel offener und gelassener werden lassen“, sagt die 20-Jährige. „Ich habe Dinge erlebt und getan, die ich mir nie zugetraut hätte.“
Dazu gehört auch: Das Heimweh nach dem eigenen Bett, der besten Freundin und einem sauberen Bad überwinden – irgendwann erwischt das die meisten Weltentdecker. Trotzdem würde Leonie, die mittlerweile Psychologie studiert, einen solchen Trip jedem empfehlen: „Man merkt es, wenn Personen länger unterwegs waren – sie wirken facettenreicher, offener, abgeklärter und dadurch auch irgendwie interessanter.“ Das kann nicht nur im Privatleben weiterhelfen, sondern vielleicht auch irgendwann mal im Job. Schließlich macht sich diese Erfahrung gut im Lebenslauf.
Karriere-Schub durch Praktika
Wer bei seiner Auszeit direkt beruflichen Erfolg im Blick hat, kann sich beim „Gap Year-Programm“ bewerben. Allianz, Bertelsmann, Henkel, McKinsey und Start-up-Investor Project A Ventures haben sich zusammengeschlossen, um erfolgreichen Studenten nach dem Bachelor eine Auszeit der etwas anderen Art zu ermöglichen: Zwei bis drei Praktika in den teilnehmenden Unternehmen, danach können sich Teilnehmer noch sozial engagieren – oder auf Reisen die Welt erkunden. Wer mitmachen will, muss gute Noten haben und sich in einem Auswahltag gegen die Konkurrenz durchsetzen. Schließlich geht’s um die Karriere.
Sozial engagieren – und selbst profitieren
Ganz anders sieht’s aus, wenn sich junge Menschen freiwillig in einem Entwicklungsland engagieren –zum Beispiel über die Organisation Weltwärts. Die 20-Jährige Erika Wenning ging nach ihrem Abi in die Dominikanische Republik, um in der Umweltbildung zu arbeiten. Sie nimmt „tausend positive Sachen“ aus dem Jahr als Freiwillige mit: „In erster Linie habe ich sehr viele persönliche Entwicklungen durchgemacht“, erklärt sie. Sie sei erwachsen geworden, reifer, bodenständiger. „Ein solches Jahr verändert zwar bestimmt nicht die Welt, aber auf jeden Fall einen selbst.
So kommt’s bei Unternehmen an
Klingt nach einer guten Sache – aber was bringt ein solches Jahr für die spätere Karriere? „Wir machen die Erfahrung, dass Bewerber, die im Ausland studiert oder gearbeitet haben, deutlich offener sind, kommunikativer und ein höheres Verantwortungsbewusstsein haben“, sagt Marc-Stefan Brodbeck, Leiter Recruiting & Talent Acquisition bei der Telekom. Er erkennt einen eindeutigen Trend zur Auslandsphase, vor allem Auszeiten von vier bis sechs Monaten sind beliebt – und sie können ein echter Pluspunkt im Lebenslauf sein.
„Gerade ein Auslandsaufenthalt eröffnet ganz andere Sichtweisen“, sagt Brodbeck. „Ich würde sogar sagen, es fördert die spätere Leistungsfähigkeit, Zielstrebigkeit und Menschenkenntnis.“ Und dabei ist auch nicht entscheidend, ob die Bewerber internationale Top-Praktika absolviert, armen Kindern geholfen oder auf dem Feld geackert haben. Telekom-Recruiter Brodbeck: „Erlaubt ist das, woran man wächst: ob geradlinig oder im Zickzack.“